Der Mensch im Mittelpunkt der Logistik - Interview mit Michael Appich
15.06.2020 | Miriam Appel
Auch und besonders die Logistik-Branche steht vor der wachsenden Herausforderung der Fachkräftegewinnung und Mitarbeiterbindung. Als Katalysator, Initiator und Manager von innovativen Projekten vernetzt die Logistik-Initiative Hamburg die Branche. Vom 15. bis 19. Juni 2020 stellt sie dabei den "Faktor Mensch" besonders in den Mittelpunkt ihrer Aktivitäten. Anlässlich der HR-Themenwoche hat Zukunft Personal mit der Initiative gesprochen.
Herr Appich, der Fachkräftemangel in der Logistik ist kein Geheimnis. Was ist Ihre Einschätzung, weshalb fällt es der Logistik schwerer als anderen Branchen, Nachwuchs- und Fachkräfte zu gewinnen?
Fachkräfte sind heutzutage in allen Branchen Mangelware. Die Logistik macht hier keine Ausnahme und steht im Vergleich nicht besser oder schlechter als andere da. Mein Empfinden ist, dass trotz intensiver Informationsarbeit noch sehr häufig festgefahrene Stereotype in Bezug auf Berufsprofile existieren. Genau so wenig wie ein KFZ-Mechatroniker heutzutage noch ein „Schrauber“ ist, ist die Fachkraft für Lagerlogistik ein „Kistenschubser“. Durch die Digitalisierung von Arbeitsprozessen nehmen rein manuelle Tätigkeiten zunehmend ab, steuernde Funktionen dagegen zu und Berufe werden anspruchsvoller.
Fehlt es der Logistik an öffentlicher Wahrnehmung?
Das ist tatsächlich ein Phänomen. Obwohl die Logistik im öffentlichen Raum permanent präsent ist, hier in Hamburg mit dem „Tor zur Welt“ sogar als absoluter Touristenmagnet, nimmt man ihre Leistungen kaum wahr. Die Menschen betrachten es als Selbstverständlichkeit, dass die Regale immer gut gefüllt und alle Waren permanent verfügbar sind. Kaum jemand macht sich darüber Gedanken, wie die Produkte zu uns gelangen und wer dafür verantwortlich ist. Erst in Krisenzeiten, wie jetzt Corona, wird die Bedeutung der Logistik für alle sichtbar, Stichwort: Hamsterkauf. Ich würde mir wünschen, dass dieses öffentliche Bewusstsein auch nach Corona erhalten bleibt und die Systemrelevanz der Branche auch zukünftig die Wertschätzung erfährt, die sie verdient.
Die Logistik-Initiative setzt ja genau dort an, die Branche zu vernetzen und sichtbar sowie erlebbar zu machen. Welche Ziele verfolgen Sie konkret mit Ihren Projekten?
Das übergeordnete Ziel der Logistik-Initiative Hamburg ist es, mit all ihren Aktivitäten signifikant zur Positionierung Hamburgs als führende innovative Logistikregion beizutragen und damit die Freie und Hansestadt Hamburg als eine europäische Innovationsmetropole zu etablieren. Für das Handlungsfeld Personal & Qualifizierung bedeutet das, Fachkräfte für die Logistikwirtschaft zu sichern und zu qualifizieren, sowie die Sicherung und den Ausbau der Fachkräftebasis in der Metropolregion unter Berücksichtigung des demographischen Wandels und der digitalen Transformation voran zu treiben. Wir zeigen Möglichkeiten auf, wie Arbeitgeber ein attraktives Umfeld schaffen und damit zu einem positiven Image der Logistik beitragen können.
Welchen Rat geben Sie Ihren Mitgliedsunternehmen mit Blick auf die Mitarbeitergewinnung? Und wie unterstützen Sie sie dabei?
Unternehmen müssen viel aktiver und präsenter sein als früher, um potentielle Kandidatinnen und Kandidaten zu finden. Heutzutage bewirbt sich der Arbeitgeber zunächst einmal bei seinem zukünftigen Arbeitnehmer, aber das Bewusstsein über diesen Paradigmenwechsel ist noch nicht überall angekommen.
Wir unterstützen unsere Mitgliedsunternehmen mit einem vielfältigen Veranstaltungs- und Informationsangebot in den Bereichen Nachwuchs- und Fachkräftegewinnung, das wir auch stetig ausbauen und weiterentwickeln. Mit unserer Jugendmarke „Logistik lernen Hamburg“ bieten wir beispielsweise online ein Karriere- und Ausbildungsportal, das einen guten Überblick über die vielfältigen beruflichen Einstiegs- und Weiterbildungsmöglichkeiten in der Hamburger Logistik bietet.
Ihr Tipp für eine starke Arbeitgebermarke:
Ganz einfach: Authentisch und glaubwürdig sein. Die beste Strategie für ein externes Employer Branding ist letztendlich zum Scheitern verurteilt, wenn die Realität im Berufsalltag komplett anders aussieht. Die Unternehmen sollten sich ihre eigene Marke bewusstmachen und diese kommunikativ in den Fokus rücken, um für potentielle Bewerberinnen und Bewerber attraktiv zu sein. Jedes Unternehmen besitzt charakteristische Alleinstellungsmerkmale und daraus lassen sich erste Rückschlüsse, z.B. zur Unternehmenskultur herleiten, die für Talente bei der Entscheidungsfindung relevant sind.
Macht es die aktuelle Situation um Corona noch schwieriger Mitarbeiter zu finden?
Sie macht es zumindest nicht einfacher, aber die Not macht erfinderisch und fördert kreative Prozesse. Da momentan sämtliche Recruiting-Veranstaltungen auf unbestimmte Zeit ausfallen und persönliche Kontakte auch nur sehr eingeschränkt möglich sind, müssen zwangsläufig neue digitale Formate entwickelt werden, um Mitarbeiter für das eigene Unternehmen zu finden. Ich finde, dieser Trend Dinge einfach mal auszuprobieren und mutig zu sein, ist einer der wenigen positiven Nebeneffekte, die aus der Corona-Krise resultieren und die wir uns als Gesellschaft auch für die Zeit nach der Pandemie erhalten sollten.
Die Logistik-Initiative hat sich dieser Thematik ja bereits angenommen, Stichwort virtuelles Azubi-Speed-Dating. Welche Learnings ziehen Sie aus dieser Veranstaltung? Was planen Sie für die Zukunft?
Wir haben nach dem Corona-Lockdown ziemlich schnell eine Notwendigkeit erkannt, ausbildungssuchende junge Menschen mit ausbildenden Unternehmen zusammen in Kontakt zu bringen, um nicht eine ganze Generation von Schulabgängern zu verlieren. Die Resonanz auf dieses virtuelle Format war insgesamt durchweg positiv und es haben sich daraus bereits intensivere Bewerbungsprozesse ergeben. Natürlich haben auch einige Dinge nicht optimal funktioniert. So war beispielsweise unser Zeitplan mit 15-minütigen Präsentationen der Unternehmen und einem Zeitpuffer von 5 Minuten zu eng getaktet, aber daraus haben wir gelernt und haben das Konzept für die Zukunft ein wenig abgeändert. Das wichtigste Learning aus der Veranstaltung ist: Es funktioniert!
Für die Zukunft planen wir dieses Format fest in unserem Angebotspaket zu etablieren und haben dafür auch schon einen fixen Termin. Am 18.06. findet im Rahmen unserer Themenwoche „Menschen machen Logistik“ eine Neuauflage des virtuellen Azubi-Speed-Datings statt. Vom 15. – 19.06. steht bei der Logistik-Initiative jeder Tag unter einem speziellen HR-Themenfokus und bietet wertvolle Impulse und innovative Ansätze zur Nachwuchs-/Fachkräftegewinnung, Mitarbeiterbindung, Personalentwicklung und dem betrieblichen Gesundheitsmanagement.
Was bietet die Branche, was andere Branchen nicht bieten? Bitte vervollständigen Sie diesen Satz: Die Logistik ist besonders, weil…
...man als Logistiker direkt Teil einer globalen Familie wird. Die weltweiten Supply Chains funktionieren als ein engmaschiges Netzwerk von Unternehmen, die die fristgerechte Lieferung der Ware von der Produktionsstätte bis zum Endkunden organisieren. Deshalb hat Logistik auch immer sehr viel mit Kommunikation zu tun und nutzt zur Optimierung dieser Prozesse die neuesten Entwicklungen der Informations- und Automationstechnologie. Alles in allem also ein sehr spannendes Tätigkeitsfeld.
Werfen wir den Blick voraus: Welche Innovationen und neue Konzepte braucht die Branche Ihrer Meinung nach – vor allem mit Blick auf eine nachhaltige Entwicklung?
Diese Frage haben wir uns auch gestellt und gemeinsam mit der Technischen Universität Hamburg (TUHH) eine Studie „Maßnahmen zur sozialen Nachhaltigkeit aus der Sicht von Logistikunternehmen und potentiellen Nachwuchskräften“ durchgeführt. Dabei ging es in erster Linie darum, Faktoren zu identifizieren, die dem Fachkräftemangel in der Logistik entgegenwirken und Strategien herauszuarbeiten, die Unternehmen bei der Akquisition von jungen Berufseinsteigern unterstützen und die Attraktivität der Branche zu steigern. Die Ergebnisse dieser Studie werden im Rahmen unserer bereits erwähnten Themenwoche am 17.06. in einer Online-Präsentation vorgestellt und anschließend auf unserer Homepage veröffentlicht.
Wenn Sie abschließend einen Wunsch frei hätten: Was würden Sie der Branche wünschen?
Ganz klar: Gesundheit! Ich wünsche der Logistik, dass sie wirtschaftlich gesund bleibt und sich von den zu erwartenden finanziellen Schäden der Corona-Krise gut erholt. Wenn das gelingt und wir die richtigen Lehren aus der aktuellen Situation ziehen, kann dies eine große Chance sein, um innovative Entwicklungen in der Branche zu forcieren und die Logistik zukunftsfähig und nachhaltig zu machen.
Vielen Dank für das Gespräch!