5% End-to-End-Digitalisierungsgrad in der Zeitarbeit
22.09.2020 | Sarah Herrmann
Warum dieses Ergebnis fatal ist und wie der Digitalisierungsgrad signifikant erhöht werden kann.
Die Corona-Pandemie hat die deutsche Zeitarbeitsbranche hart getroffen. Plötzlich und unvorhergesehen waren viele Arbeitnehmer und Fachkräfte dazu verdonnert, aus dem Home-Office heraus zu arbeiten, in Kurzarbeit zu gehen oder haben im schlimmsten Fall sogar ihre Jobs verloren. Was auf der individuellen Ebene noch einigermaßen zu händeln war und ist, hat auf organisatorischer Ebene enorm viel von den Zeitarbeitsfirmen abverlangt: Verträge wurden ad hoc storniert, Messen und Kundentermine abgesagt und für die eigentliche Personalarbeit blieb nur wenig Zeit.
Corona-Krise offenbart Digitalisierungslücken
Während die gängigen Arbeitsweisen und Abläufe im gewohnten Arbeitsumfeld mehr oder weniger gut funktioniert haben, zeigten sich auf einmal Grenzen auf, die bis dato unbeachtet blieben. Wer konnte schon ahnen, dass ein Virus die hiesige Zeitarbeitsbranche auf einmal mit ihrem Digitalisierungsgrad konfrontiert. Vor Augen führt, wie wichtig optimierte, digitale Prozesse für das Zusammenarbeiten in der modernen Arbeitswelt sind. Wie stark manche Wirtschaftszweige in globale Lieferketten eingebunden sind, die auch mal reißen können. Wie viel Zeit tagtäglich mit Aufgaben verbracht wird, für die es unlängst automatisierte Lösungen gibt.
Allerdings sind Digitalisierungslücken kein Charakteristikum der Zeitarbeitsbranche. Der Branchenverband Bitkom zeigt in seiner 2019-er Studie „Digitalisierung der Wirtschaft“ auf, dass jedes vierte Unternehmen auf eine Digitalstrategie verzichtet. Demgegenüber verfolgen rund ein Drittel der befragten Unternehmen eine abteilungsübergreifende Strategie zur Bewältigung des digitalen Wandels, während fast jedes zweite Unternehmen zumindest eine Digitalisierungsstrategie für einzelne Unternehmensbereiche erarbeitet. Jedoch setzen nur 15% der Unternehmen auf einen Chief Digital Officer (CDO), der das Vorhaben zentral anleitet und wichtige Impulse setzt. Insofern scheint die Corona-Krise lediglich verstärkt aufgezeigt zu haben, was hinlänglich bekannt war: In Sachen Digitalisierung hinken die deutschen Unternehmen im weltweiten Vergleich hinterher – und zwar branchenübergreifend.
Digitales End-to-End-Management externer Flexibilität – in Deutschland bisher größtenteils Fehlanzeige
Die Digitalisierung begründet einen fundamentalen Wandel der Arbeitswelt, der auch bisher ungenutzte Chancen mit sich bringt: Flexibilität, Prozessoptimierung, Automatisierung, schnelle Kommunikation und Kollaboration per Remote – um nur einige „Hoffnungsträger“ zu nennen. Und was branchenübergreifend wichtig ist, gilt freilich auch für die Zeitarbeit. Denn im Zuge der fortschreitenden Digitalisierung erwarten viele Unternehmen eine schnelle, bequeme und flexible Zusammenarbeit mit ihren externen Dienstleistern. Getreu dem Motto: „einfaches Handling und Funktionen auf Knopfdruck“.
Hürden bei der Kommunikation, beim Datenaustausch oder auch bei der Abrechnung, die bisher auf dem kurzen Dienstweg zähneknirschend aus dem Weg geräumt wurden, können jetzt schon das Ende einer langjährigen Geschäftsbeziehung bedeuten. Dieser Trend deutet sich aber schon seit einigen Jahren an. Laut der 2018 veröffentlichten PWC-Studie „Zeitarbeitsbranche aktuell – Wachstum und Digitalisierung“ bestätigten schon damals rund zwei Drittel der befragten Personaldienstleister, dass ihre Kunden zunehmend digitale Prozesse, digitale Kommunikationskanäle und eine höhere Flexibilität erwarten. Sie befürchteten aber auch zugleich, diesen Erwartungen nicht gerecht werden zu können und dadurch Kunden zu verlieren oder gar aus dem Markt auszuscheiden. Gut beraten war derjenige, der seine Prozesse frühzeitig softwaregestützt optimiert hat und dadurch einen Wettbewerbsvorteil generiert hat.
Potenziale der Digitalisierung zu einem Wettbewerbsvorteil verwandeln
Aus der einstigen Befürchtung scheint inzwischen jedoch eine Chance geworden zu sein. Dies suggeriert zumindest die Anfang 2020 durchgeführte PWC-Studie „Zeitarbeitsbranche aktuell“. Hier gaben rund 70% der befragten Zeitarbeitsfirmen an, noch stärker in die Digitalisierung und Automatisierung ihrer Prozesse investieren zu wollen, um dem wirtschaftlichen Abschwung entgegenwirken zu können.
„Der Schwach- und Knackpunkt liegt in den Austauschprozessen zwischen Personaldienstleistern und Unternehmen. Hier gibt es noch viel Nachholbedarf.“
Dr. Tobias Weigl, Geschäftsführer TALOS Workforce Solutions GmbH
Dennoch werden nach eigener Hochrechnung von TALOS von den knapp 30 Milliarden Gesamtjahresumsatz der Zeitarbeitsbranche in Deutschland nur rund 5% der Arbbeitnehmerüberlassungen End-to-End digital gemanaged, obwohl die internen Prozesse wie Verwaltung, Recruiting, Zeitplanung und Lohnabrechnung in den Zeitarbeitsfirmen bereits zu über 50% digitalisiert sind. Der Schwach- und Knackpunkt liegt in den Austauschprozessen zwischen Personaldienstleistern und Unternehmen. Gerade bei der Integration der individuellen Vorgaben von verschiedenen Kunden oder Co-Lieferanten in die eigene Prozesslandschaft sind auch im Jahr 2020 selbstkonfigurierte Listen und Co. die gängigen Hilfsmittel. Hier gibt es in Deutschland noch Nachholbedarf.
Externe Flexibilität digital, einfach und rechtssicher managen
Denn obwohl Zeitarbeit für viele Wirtschaftsbereiche inzwischen systemrelevant geworden ist, wird sie hierzulande oft als ein Randbereich abgetan, der insbesondere im Hinblick auf die durchgehende Digitalisierung und Automatisierung der vielfältigen Austauschprozesse zwischen Kunden und Dienstleistern vernachlässigt wird. Genau hier setzt ein Vendor Management System
(VMS) an. Dabei handelt es sich um eine Softwarelösung für das effiziente, transparente und digitale Management der gesamten End-to-End-Prozesskette rund um die Beschaffung, Verwaltung und Abrechnung von externen Personalressourcen.
„Ausgereifte VMS-Lösungen bilden die gesamte End-to-End-Prozesskette – angefangen von der Personaldienstleister-Verwaltung über das Stellen- und Bewerbermanagement bis hin zur Zeitwirtschaft und der (Sammel-)Abrechnung – für das Zeitarbeitsmanagement eines Unternehmens ab. Hierdurch füllt ein VMS den ‚leeren‘ Raum zwischen Unternehmen und Personaldienstleister und schafft genau dort transparenten und effizienten Informationsaustausch, wo sonst mit E-Mails, Listen und Mailverteilern gearbeitet wird.“
Dr. Tobias Weigl, Geschäftsführer TALOS Workforce Solutions GmbH
Trotz der Bedeutung von VMS-Lösungen für die Flexibilisierung, Digitalisierung und Effizienzsteigerung ist der Bekanntheitsgrad und die Marktdurchdringung in Deutschland – im Gegensatz zur Vorreiterrolle der USA – noch sehr gering. So werden VMS-Lösungen in Deutschland bislang größtenteils über einzelne Zusatzfunktionen klassischer Zeitarbeitssoftware abgebildet, ohne dabei die gesamte End-to-End-Prozesskette samt der vielfältigen Austauschprozesse durchgehend und vollständig zu integrieren.
VMS als Lösung für das Digitalisierungs-Dilemma in der Zeitarbeitsbranche
Doch ein zukunftsgerichtetes VMS sollte auch hinsichtlich des Systemaufbaus darauf ausgelegt sein, verschiedene Unternehmen – Entleiher, Verleiher und Servicedienstleister (MSP, MV) – in verschiedenen Rollen zusammenzubringen sowie Informationen und Leistungen bequem untereinander auszutauschen und zwar auf Basis definierter Prozesse und festgelegter Vertragsbeziehungen. Als Webanwendung eignet sich ein VMS für verschiedene Nutzergruppen:
- Vom entleihenden Unternehmen, um seine Lieferanten rechtssicher anzubinden und die Zusammenarbeit zentral zu steuern.
- Von einem Personaldienstleister, um als Master Vendor (Hauptlieferant) die Koordination aller Personaldienstleister einfach zu optimieren.
- Von einem Managed Service Provider, um als Neutral Vendor mehrere Geschäfts- und Vertragspartner simultan über ein System zu betreuen.
Damit sichert ein vollumfängliches VMS die Effizienz von Prozessen und die Qualität der ausgetauschten Daten, was wiederum Grundvoraussetzungen für Rechtssicherheit ist. Denn durch die spezielle Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung in Deutschland infolge des 2017 novellierten Arbeitnehmerüberlassungsgesetztes (AÜG) und die im Vergleich zu anderen Ländern sehr komplexe Rechts-, Tarif- und Abrechnungslandschaft, die für einen korrekten, effizienten und vor allem rechtssicheren Einsatz von Zeitarbeit abgebildet werden muss, sollte die automatisierte Berücksichtigung von Vorüberlassungszeiten und tariflicher Regelungen ein elementarer Bestandteil eines VMS sein.