Was Führungskräfte von Mitarbeitenden des Gesundheitswesens für Krisensituationen lernen können

17.08.2020 | Scott Gregory

Quelle: Hogan Assessments Systems

Beschäftigte im Gesundheitswesen und Führungskräfte aus der Wirtschaft mögen als seltsame Bettgenossen erscheinen: Beschäftigte im Gesundheitswesen konzentrieren sich darauf, Leben zu retten und sich um andere zu kümmern, während Führungskräfte aus der Wirtschaft sich darauf konzentrieren, Teams zu einem gemeinsamen Ergebnis zu führen, mit dem typischen Ziel der Umsatzsteigerung. Es gibt jedoch Gemeinsamkeiten zwischen den Eigenschaften, die in beiden Berufen zum Erfolg führen. Beide erfordern Belastbarkeit und die Fähigkeit, mit Menschen zu arbeiten, wenn auch auf unterschiedliche Weise und für unterschiedliche Zwecke. Was können Führungskräfte also von Mitarbeitenden im Gesundheitswesen über das Krisenmanagement lernen?

Persönlichkeitsmerkmale und Arbeitsplatzleistung von Gesundheitspersonal

Forschungen zeigen, dass bestimmte Persönlichkeitsmerkmale - wie z.B. Gewissenhaftigkeit, aktives Interesse am Lernen, Ruhe bewahren und Belastbarkeit, Vertrauen, Regelkonformität und Pragmatismus - für den Erfolg in Positionen im Gesundheitswesen wichtig sind. Darüber hinaus legen die effektivsten Mitarbeitenden im Gesundheitswesen Wert auf Risikominimierung, treffen Entscheidungen sorgfältig, planen detailliert und arbeiten selbstlos zum Wohle anderer.

Trotz ihrer umfangreichen und intensiven Ausbildung erleben Fachkräfte im Gesundheitswesen auch Unerwartetes: Patienten mit leichten Symptomen nehmen manchmal unerwartete Wendungen zum Schlimmsten und erfordern eine Krisenreaktion. Pandemien treten auf und belasten Ressourcen und Kapazitäten. Und: Patienten in akuten Notlagen kommen ohne Voranmeldung in die Notaufnahme.

In diesen Zeiten können einige wenige Persönlichkeitsmerkmale die Arbeitsleistung und Effektivität des Gesundheitspersonals beeinträchtigen. Beispielsweise scheinen diejenigen, deren Reaktionen auf Druck ihre Wirksamkeit vermindern, besonders anfällig dafür zu sein, emotional instabiler zu werden, zu zögern oder weniger vorhersehbar und geerdet zu sein. Diese Merkmale, die unter normalen Umständen relativ unbemerkt bleiben, können beim Auftreten zu einer Verschlechterung der Arbeitsleistung führen. Insbesondere dann, wenn die davon betroffene Person nicht auf ihre eigene Reaktion auf Stress achtet und Maßnahmen zu deren Bewältigung ergreift.

Studien über effektive Führungspersönlichkeiten legen nahe, dass diejenigen am effektivsten sind, die bescheiden und ehrgeizig, ruhig und belastbar sowie zwischenmenschlich kompetent und gewissenhaft sind. Wirksame Führungspersönlichkeiten erholen sich schnell von Fehlern, setzen und halten hohe Standards, nehmen Einfluss über Beziehungen und lernen von anderen, weil sie bereit sind, ihre Wissenslücken zuzugeben.

Der Umgang in Krisensituationen

Wenn Menschen unter Stress stehen, können sie ihren normalen Arbeitsmodus verlieren und anfangen zu entgleisen. Sie beobachten und managen sich dann selbst weniger und greifen auf eine reaktivere Arbeitsweise zurück. Unabhängig von ihrer Profession entgleisen Menschen, die mit einer Krise konfrontiert sind, auf drei wesentliche Arten:

  1. sie bewegen sich weg - indem sie vor dem Problem weglaufen.

  2. sie setzen sich gegen andere durch - durch die Bekämpfung derer, von denen sie annehmen, dass sie das Problem verursacht haben, und

  3. sie kontrollieren andere - indem sie so nahe wie möglich an das Problem herankommen und versuchen, es zu mikromanagen.

Obwohl keine dieser Verhaltensweisen sehr effektiv ist, um durch eine Krise zu führen, zeigen Forschungen, dass sich wegzubewegen und das Problem zu vermeiden, die schlimmsten Reaktionen zur Krisenbewältigung sind.

Fachkräfte im Gesundheitswesen müssen sich bewusst sein, dass Zögern, emotionale Überreiztheit, Unbeständigkeit, sich ablenken lassen und der Vorgehensweise weniger Aufmerksamkeit zu schenken, Anzeichen von Stress sind. Für Führungspersönlichkeiten in Krisensituationen können die gleichen Fallstricke besonders schädlich sein, da sie dann weniger offen und vertrauend, zu vorsichtig und unentschlossen oder zu hartnäckig wirken.

Effektive Mitarbeitende im Gesundheitswesen und Führungskräfte teilen einige offensichtliche Gemeinsamkeiten. Beide scheinen weniger ängstlich, belastbarer und offen für Neues zu sein. Außerdem sind sie pragmatisch veranlagt, insbesondere im Bezug auf Ergebnisse, und sind in der Lage, gut mit einer Vielzahl unterschiedlicher Menschen zusammenzuarbeiten. Die erste Gemeinsamkeit, die Fähigkeit, unter Stress und Druck ruhig und belastbar zu bleiben, ist eindeutig die wichtigste Eigenschaft, wenn eine Krise eintritt.

Drei Lektionen für Führungskräfte

Die Frage, der sich dieser Artikel widmet ist, ob Führungskräfte von Beschäftigten im Gesundheitswesen lernen können, Krisen besser zu bewältigen. Tatsächlich gibt es drei Kernthemen und Erkenntnisse:

Erstens:

Ein gemeinsames Motiv oder ein gemeinsamer Wert unter den Beschäftigten des Gesundheitswesens ist die Fürsorge für andere. Dies ist schließlich die Hauptmotivation für viele, die überhaupt erst in den Gesundheitsberuf einsteigen. Sie mögen es, einer Tätigkeit nachzugehen, die anderen zugute kommt, und diese Fürsorge hilft ihnen, sich auf Ergebnisse zu konzentrieren, insbesondere wenn Krisen auftreten. Die Lektion für Führungskräfte, deren altruistische Ausprägungen sehr unterschiedlich sein können, besteht darin, sich in Krisen auf ihr Mitgefühl zu konzentrieren. Führungspersönlichkeiten sollten bedenken, dass alle ihre Mitarbeitenden in schwierigen Zeiten wahrscheinlich gestresst und unsicher sind und der Beruhigung bedürfen. Während das gängige Bild einer effektiven Führungskraft eine harte Persona als schroffer Individualist beinhalten mag, ist das Gegenteil der Fall - Krisen erfordern mehr Mitgefühl.

Zweitens:

Während tägliche emotionale Kontrolle sowohl für das Gesundheitspersonal als auch für Führungskräfte notwendig ist, ist das Gesundheitspersonal aufgrund seiner Ausbildung, der umfangreichen Verfahrensvorschriften und der häufigen Einbindung in Situationen, in denen es um Leben oder Tod geht, möglicherweise besser darauf vorbereitet, in Krisen emotional geerdet zu bleiben. Zwar kann sich kein Geschäftsführer auf jede unerwartete Eventualität vorbereiten, aber die meisten Führungskräfte könnten durch Krisenmanagement-Trainings und Szenarienplanung besser vorbereitet sein. Diese Art der Ausbildung wird oft nur Führungskräften der C-Suite angeboten, während andere Führungsebenen tendenziell von diesen umfassenderen Weiterbildungsmaßnahmen ausgeschlossen sind. Darüber hinaus könnten Führungskräfte lernen, Geschäftsumgebungen zu schaffen, in denen das Reden über Emotionen und Verletzbarkeiten - die in der Geschäftswelt typischerweise tabu sind - mehr Akzeptanz findet. Organisationen und Fachkräfte des Gesundheitswesens scheinen dies besonders aufmerksam zu verfolgen, was zu einer schnellen Aktivierung emotionaler Unterstützungshilfen während der aktuellen Pandemie geführt hat.

Drittens:

Effektives Gesundheitspersonal neigt dazu, pragmatisch zu sein. Sie konzentrieren sich auf den Umgang mit dem ihnen vorliegenden medizinischen Anliegen und verlieren sich nicht in Theorien, dem Analysieren von Hypothetischem oder in kreativen Ideen, insbesondere nicht in Krisensituationen. Sie überprüfen Symptome, verlassen sich auf die Wissenschaft, verschreiben Behandlungen, verabreichen medzinische Hilfe und beobachten die Patienten auf Veränderungen. Obwohl eine weit verbreitete Vorstellung existiert, dass Krisenführer eine großartige Vision vermitteln müssen, die dazu beiträgt, Unternehmen und Menschen aus den Turbulenzen herauszuführen, zeigt uns das Gesundheitspersonal genau das Gegenteil. Führungspersönlichkeiten wären besser dran, wenn sie eine realistische Sicht auf die zu lösenden Probleme einnähmen, wenn sie Daten und Wissenschaft nutzen würden, um die beste Lösung zu bestimmen, wenn sie Schritte unternehmen würden, um die Lösung so praktisch wie möglich umzusetzen, und wenn sie über Standardmesssysteme verfügen würden, um bei Bedarf schnelle Kurskorrekturen zu ermöglichen.

Widerstandsfähige Menschen neigen dazu, in Krisen besser zu arbeiten, unabhängig von Branche oder Beruf. Ein Verlust der emotionalen Kontrolle kann das Urteilsvermögen trüben, Mitarbeitende entfremden und die Effektivität behindern. Selbstlosigkeit, Mitgefühl, eine umfassende Ausbildung im Umgang mit Krisen und ein pragmatischer und lösungsorientierter Ansatz zur Problembehebung sind Eigenschaften von Mitarbeitenden im Gesundheitswesen, die sich Führungskräfte aneignen können, um ein besseres Krisenmanagement zu betreiben. Obwohl es in Unternehmen in der Regel nicht mit Leben und Tod geht, geht es doch immer auch um Menschen, Emotionen und den Bedarf an konkreten, praktischen Ergebnissen.

Über Scott Gregory

Als CEO von Hogan Assessments, einem der weltweit führenden Anbieter von forschungsbasierter Persönlichkeitsdiagnostik und Führungsberatung, bringt Scott Gregory jahrelange Erfahrung in der Auswahl und Entwicklung von Führungskräften mit, die er auch in seine eigenen Führungsstil bei Hogan einführt. Hogan's Assessmentlösungen stehen in 57 Ländern und 46 Sprachen zur Verfügung.