Diskriminierung im Job: Interview mit Timo Lehne, Managing Director von SThree (Teil 2)
29.09.2020 | Personalberatung SThree
Die siebte repräsentative So arbeitet Deutschland-Studie der Personalberatung SThree beleuchtet: Wie arbeiten die Menschen in Deutschland heute – und was wünschen sie sich für morgen? Im Interview geht Timo Lehne, Managing Director von SThree, auf den aktuellen Stand in Deutschland hinsichtlich der Themen Gleichberechtigung und Fachkräftemangel ein.
Wie beurteilen Sie den Status Quo hinsichtlich Gender Equality in deutschen Unternehmen?
Deutschland hinkt bei der Gleichberechtigung immer noch hinterher. Dies belegen nicht nur die aktuellen "So arbeitet Deutschland"-Studienergebnisse, die zwar zeigen, dass das Thema Gender Equality im Bewusstsein vieler ist, aber im Joballtag noch zu selten gelebt wird, sondern auch der Gender Equality Index, der von der EU erhoben wird. Dort liegt Deutschland mit 66,9 von 100 Punkten auf Rang 12 aller EU-Länder und sogar 1,4 Punkte unter dem EU-Durschnitt. Und jüngst hat auch die Corona-Pandemie einmal mehr strukturelle Ungleichheit zwischen den Geschlechtern offenbart. So hat die Krise unter anderem verdeutlicht, dass noch sehr häufig die Mütter diejenigen sind, die Job- und Familienleben unter einen Hut bringen müssen und sich neben ihren virtuellen Meetings um das Homeschooling des Nachwuchses kümmern. Ebenso zeigt Deutschland bei der Diversität in den Chefetagen Nachholbedarf – Frauen sind in Führungspositionen leider immer noch unterrepräsentiert.
Dies sind nur ein paar Beispiele aus dem Arbeitsleben, die verdeutlichen: Deutschland hat beim Thema Gender Equality noch viel Arbeit vor sich. Jedoch muss man sich vor Augen halten, dass sich die Gesellschaft und die vorherrschenden Ansichten nicht von heute auf morgen ändern werden. Dennoch ist es im ersten Schritt entscheidend, sich eines Problems überhaupt bewusst zu werden – um dann entsprechende Veränderungen anstoßen zu können.
Die So arbeitet Deutschland-Studie zeigt: Gleichberechtigung im Job ist Chefsache. Wie kann das Management für Gender Equality sorgen?
Die Grundvoraussetzung hierfür ist eine Unternehmenskultur, in der Gleichberechtigung und Vielfalt akzeptiert und gefördert werden. Eine Gleichbehandlung aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter muss gelebt werden, damit sie in der Praxis wirksam wird. Hierzu zählt für mich eine faire Behandlung aller – und das fängt beim Gehalt an. Bei SThree haben wir eine hundertprozentige Entgeldgleichheit zwischen Mann und Frau. Das heißt: Jeder steigt mit dem gleichen Grundgehalt ein und wir bieten jedem die gleiche Möglichkeit, sein Potenzial zu entfalten. Es gilt den Einzelnen mit individuellen Weiterbildungs- und Entwicklungsprogramme zu unterstützen. Unternehmen sollten mit Förderungsprogrammen für Frauen, Mitarbeiterinnen bei ihrem beruflichen Werdegang begleiten und unterstützen, fördern und gezielt Skills gemeinsam mit ihnen entwickelen. Ein konkretes Beispiel: Wir haben bei SThree das globale Entwicklungs- und Förderungsprogramm Identity, bei dem Mitarbeiterinnen gezielt gefördert und über ein Jahr hinweg begleitet werden. Das Ziel des Programms ist es, ihnen mehr Verantwortung zu übertragen, ein förderndes Umfeld zu schaffen und ihre Entwicklung hin zu Führungspositionen zu unterstützen.
Doch die Förderung von Gleichberechtigung geht für mich noch viel weiter, als die Umsetzung solcher Maßnahmen – es braucht ein entsprechendes Mindset. So verweist Sheryl Sandberg in ihrem Buch „Lean in“ auf Studien, die folgendes gezeigt haben: Frauen, die verstärkt mit Männern zusammenarbeiten, passen ihr Verhalten an ihre Arbeitsumgebung an und legen „typisch“ männliche Verhaltensweisen an den Tag. Deshalb muss auch das Management dahingehend geschult werden, ein Work-Environment zu schaffen, in dem sich Frauen frei entwickeln und entfalten können.
Neben dem Thema Gender Equality beleuchtet die So arbeitet Deutschland-Studie auch den Fachkräftemangel. Welche Lösungsansätze gibt es, um diesem entgegenzuwirken?
In der Studie werden die Integration von Quereinsteigern (49 Prozent) und der Ausbau des Angebots für Ausbildungsberufe (38 Prozent) als die zwei erfolgversprechendsten Maßnahmen im Kampf gegen den Fachkräftemangel genannt. Eine weitere mögliche Lösung zeigt ein Blick in europäische Nachbarländer: die Integration ausländischer Fachkräfte in den Binnenarbeitsmarkt. Hier schlummert viel Potenzial, das in anderen europäischen Ländern schon erfolgreich, in Deutschland jedoch noch selten genutzt wird. Hierzulande ist es für Fachkräfte aus dem Ausland häufig schwer, auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Eine Barriere ist dabei allein schon die Unternehmenssprache, die in der Regel nur Deutsch ist. Ganz anders in Schweden oder den Niederlanden: Hier ist die vorherrschende Business-Sprache häufig Englisch und somit freier von Sprachbarrieren für internationale Talente.
Als weitere zielführende Maßnahme gegen den Fachkräftemangel, haben die Studienteilnehmer die Erhöhung der Frauenerwerbstätigkeit (36 Prozent) genannt. Dieser Ansicht schließe ich mich an. Denn nach wie vor wird es Mitarbeiterinnen – und genauso den männlichen Kollegen – die sich mitunter aus familiären Gründen temporär aus dem Arbeitsmarkt zurückgezogen haben, in Deutschland erschwert wieder ins Berufsleben einzusteigen. Damit dies zukünftig leichter gelingt, müssen die entsprechenden Voraussetzungen – wie Teilzeitstellen, Job-Sharing-Modelle und Kinderbetreuungsmöglichkeiten – geschaffen und ausgebaut werden; auch hier liegt noch viel ungenutztes Potenzial.
Hat sich durch die Corona-Pandemie der Fachkräftemangel „entschärft“?
Es zeigt sich derzeit eine Verschiebung der Verhältnisse: der bis dahin stark Bewerber-zentrierte Markt wandelt sich wieder zugunsten der Arbeitgeber. Gerade im Frühjahr, zu Beginn der Pandemie habe ich Entwicklungen beobachtet, die darauf hindeuten, dass Arbeitgeber eine größere Auswahl an hochqualifizierten Mitarbeitern und Freelancern aus dem MINT-Bereich hatten, den es so in den letzten Jahren nicht gab. Fraglich ist hingegen, ob dieses Verhältnis langfristig aufrechterhalten werden kann, da Fach- und Führungskräfte in Deutschland bereits seit langer Zeit händeringend gesucht wurden. Man muss berücksichtigen, dass die aktuelle Lage eine Momentaufnahme in einer extremen Ausnahmesituation widerspiegelt – und der anhaltende Fachkräftemangel nicht von einem Tag auf den nächsten vom Tisch ist. Strategisches Recruiting und Retention-Management werden uns jetzt und auch in der Zeit nach der Krise begleiten – wer hier in alten, eingefahrenen Strukturen denkt, dem wird es schwer fallen die besten Köpfe zu finden und diese auch langfristig zu binden.
Vielen Dank!