Was kostet das Glück?
23.11.2020 | Gina Schöler
Macht. Geld. Glück(lich)?
Macht Reichtum zufrieden oder nicht? Wieviel Geld, Besitz und Materielles braucht man wirklich, um ein gutes und glückliches Leben zu führen? Haben Geld und Glück unmittelbar etwas miteinander zu tun, begünstigt das eine das andere und andersrum? Diese Fragen werden zurecht immer wieder gestellt und hinterfragt. Geld übt dabei schon immer eine große Faszination auf den Menschen aus – der Lottogewinn, Statussymbole, Häuser, Autos, Pools. Das alles wird für viele oft mit Glück gleichgesetzt. Doch ist das gerechtfertigt?
Wir alle kennen es: Wir warten leidenschaftlich gerne auf Dinge, die in der Zukunft liegen. Vorfreude ist schlussendlich die positive Art des Wartens. Der gute Abschluss, auf den man so lange hinarbeitet. Der Berufseinstieg, das eifrige Ackern, um die nächste Beförderung zu schaffen, dem Chef zu gefallen oder sich selbst etwas zu beweisen. Der nächste Karrieresprung ist nur gefühlte 2000 Überstunden entfernt, die Gehaltserhöhung in Sicht… Wenn wir all das erreichen, dann sind wir sicher glücklich, so unsere Mutmaßung – doch haben wir damit recht? Denn, schlussendlich fehlt dann auch noch der Traumpartner oder die Traumpartnerin und die gewünschten Kinder und die tolle Wohnung oder besser noch ein Haus. Dann das schicke Auto, die Weltreise… Das Warten nimmt kein Ende. Wir vergessen das Jetzt vor lauter Dann. Und inmitten all dem vergessen wir auch, dass das Glück manchmal viel eher in den kleinen Momenten zu uns findet und nicht immer einen Tribut fordert.
Bei all dem Arbeiten, Warten, Funktionieren und darauf Hinarbeiten vergessen wir uns oft diese kleine, aber wichtige Frage zu stellen: Wozu das alles eigentlich? Das Hamsterrad sieht von innen aus wie eine Karriereleiter und das nicht umsonst. Fängt das Rad erstmal an sich richtig zu drehen, ist es tückisch und lässt die Vorstellung wachsen Geld und Glück seien enger miteinander verwoben, als dass vielleicht oft der Fall ist.
Glück ist kostenlos.
Das Vergleichen mit anderen liegt in der Natur des Menschen. Was hat der oder die andere, was ich nicht habe? Könnte es doch mehr sein? Das Gras auf der anderen Seite ist immer grüner. Wir lassen uns verleiten und verführen, zu den Nachbarn zu schielen, die KollegInnen zu beneiden oder uns mit vermeintlichen Idealbildern aus den Medien zu vergleichen. All das führt aber eigentlich nur zu Gier, Neid und falschen Vorstellungen von einem glücklichen Leben.
Studien zufolge sind wir lieber der große Fisch im kleinen Teich statt umgekehrt, auch, wenn das nicht immer rational ist. Emotional möchten wir gut abschneiden, wenn wir uns mit unserem Umfeld messen. Hier sollten wir uns öfter hinterfragen: Brauchen wir all das wirklich? Ist das neue Auto ein absolutes Muss oder nur gegönnter Luxus? Will ich dies oder jenes wirklich oder suggeriert mir ein anderes Lebensmodell oder die Werbung, dass ich das nun ganz dringend erwerben sollte?
Wie sagt Richard David Precht so schön: "Sie kaufen Dinge, die sie nicht brauchen, um Leute zu beeindrucken, die sie nicht mögen, mit Geld, das sie nicht haben."
Mit Geld kann man Glück nicht kaufen. Auch die Glücksforschung hat bewiesen: Äußere Umstände (meint auch den Fakt, ob man eher arm oder reich ist) beeinflussen das Glücksempfinden nur zu 10%, die innere Einstellung und Haltung, das eigene Handeln hingegen bis zu 40%. Und die restlichen 50% sind genetisch bedingt. Uns ist also in die Wiege gelegt worden, ob wir das Glas tendenziell halb voll oder halb leer sehen, können daran aber auch noch etwas ändern.
Natürlich erleichtert Geld einem das Realisieren von Sicherheit und Luxus – ein Wellness-Wochenende, ein schöner Urlaub am Meer, Champagner und das vier-Gänge-Menü. Doch Glück wächst längst nicht linear mit dem Einkommen!
Wirtschaftsnobelpreisträger Daniel Kahneman belegt, dass das Glücksempfinden bis zu einem Jahreseinkommen von ca. 60.000€ steigt. Darüber hinaus ist mehr verdientes Geld zwar schön, hat aber bei Weitem nicht mehr den Einfluss auf das persönliche Glück wie bis zu dieser Schwelle.
Das heißt, dass Geld nur bis zu einem gewissen Grad glücklich macht und danach tendenziell keinen starken Mehrwert auf unser Glücksempfinden hat. Das ist insofern logisch, dass ein Mindestmaß an Geld unsere Grundbedürfnisse wie Sicherheit, ein Dach über dem Kopf und Essen gestillt sein müssen, damit das Glück wachsen kann. Nicht umsonst sind Themen wie das bedingungslose Grundeinkommen so heiß diskutiert!
Trotzdem halten auch viele Menschen aus westlichen Ländern, deren Grundbedürfnisse gesättigt sind, an der Vorstellung fest, sie wären glücklicher, wenn sie reicher wären.
Reich ist der, der sich reich schätzt.
Doch was bedeutet Reichtum überhaupt? Ich habe eine ganz eigene Antwort darauf gefunden.
Ich erinnere mich immer wieder gerne an eine Reise nach Vietnam zurück. Dort habe ich ein prägendes Erlebnis gehabt, das auch in meinem Buch „Das kleine Glück möchte abgeholt werden“ niedergeschrieben ist. Daran erinnere ich mich jedes Mal zurück, wenn ich der festen Überzeugung bin, dringend etwas haben zu müssen.
Denn die grundlegende Frage hinter all dem ist doch stets: Haben oder Sein? Das haben mir die glücklichen vietnamesischen Kinder gelehrt, die inmitten des Nichts einfach glücklich waren – über geschenkte Murmeln. Sie zeigten mir, dass es viel wertvoller ist, sich auf das Wesentliche zu besinnen und mit den kleinsten Gesten, Dingen und Momenten zufrieden zu sein, als ein dutzend Plastikspielzeuge. Und jedes Mal, wenn ich eine Murmel in die Hand nehme, besinne ich mich darauf, dass es fast nichts bedarf, um glücklich zu sein:
„Wir sind in den Bergen von Vietnam unterwegs und eine frische Brise zieht durch das kleine Bergdorf. Die winzige Dame namens Jui ist an diesem Tag unsere Wanderbegleitung und führt uns durch ihre Nachbarschaft weit abgelegen von jeglicher Zivilisation. Sie ist keine 1,50 Meter groß, aber strotzt vor Kraft und Energie. Wir haben Mühe, ihr zu folgen, aber umso mehr Spaß bei allem, was sie uns beibringt und zeigt. Sie stellt uns ihren Freunden vor und wir dürfen in ihrem Zuhause, bestehend aus einer selbstgebauten Lehmhütte, zu Mittag essen. Mein Mann und ich verabschieden uns herzlich und gehen auf einen Wochenmarkt, wo wir uns mit unbekanntem Obst und Glasmurmeln eindecken. Hier und da sieht man die einheimischen Kinder mit den Klickern spielen. Ein unglaubliches Geschick weisen sie auf, während sie die Glasperlen um die Wette schießen. Nun klickern also auch unsere Taschen, denn sie sind voll mit den kleinen runden Dingern.
Auf einem abgelegenen Weg treffen wir schon bald auf eine kleine Kinderschar. Zuerst ernten wir etwas verwunderte Blicke, dann steigt die Neugierde bei den Kleinen aber so stark, dass sie schnell näher kommen und uns freudig begrüßen. Wir grüßen nicht nur freundlich zurück, sondern zücken auch die Glasmurmeln, die in unseren Taschen nur darauf warten, verteilt zu werden. Die Augen werden unmittelbar riesig groß, das strahlende Lächeln der dutzend Kinder ist unbezahlbar. Ich vertraue einem Händchen nach dem anderen eine kleine perlmuttfarbene Murmel an. Ganz geduldig und fast schon ehrfürchtig empfängt jeder seine ganz eigene Murmel. Wie ein Schatz tragen sie sie hinfort, stolz präsentierend, freudig juchzend und einander anstrahlend. Alles andere ist nun unwichtig. Die Jungs fangen sofort an, sich in Teams aufzustellen, die Mädchen hingehen pflegen die Murmelchen wie wahre Schätze. Kleines kann so groß sein. Das realisiere ich an diesem Tag ganz besonders und seitdem ist die Murmel für mich ein großes Sinnbild dafür, dass wir wirklich wenig benötigen, um glücklich zu sein.“
Collect moments, not things
Es kommt also nicht unbedingt drauf an, wieviel man besitzt, sondern was man damit macht. Die Menschen in den vietnamesischen Bergdörfern hatten wenig bis nichts. Doch sie strahlten und waren gastfreundlich, luden ein, genossen das Miteinander. Hier kann man als westlich sozialisierter Mensch viel lernen. Gemeinschaft, Hilfsbereitschaft, ein respekt- und liebevoller Umgang miteinander sind ein paar Beispiele, welche man eben nicht mit Geld kaufen kann, was aber definitiv dem Glück zuträglich ist.
Man kann das Geld, was man hat, natürlich horten. Muss man aber nicht. Sollte man auch nicht, denn was bringt es denn? Es beruhigt das Ego. Ich erinnere mich an einen Spruch meines Vaters: „Geld muss fließen.“ Man muss bereit sein, es auszugeben, das Leben zu genießen, mehr im Hier und Jetzt zu leben und Chancen zu ergreifen. Was bringt es zu warten, wenn man nie weiß, was kommt. Die nachhaltigste Methode, Geld in Glück zu verwandeln, ist daher, sich selbst und anderen Erfahrungen zu schenken. Denn was bleibt zum Schluss?
Wenn man sich im letzten Lebensabschnitt befindet, seine Zeit Revue passieren lässt, stellt sich oft die Frage, ob man sein eigenes Leben sinnvoll genutzt hat. Im Nachhinein sind materielle Dinge nichtig.
Auf dem Sterbebett haben wir nur noch ein Nachthemd, ein paar warme Socken, unsere Lieblingsmenschen und: Uns selbst. Unsere Gefühle, Erinnerungen, all die Erlebnisse und Erfahrungen, die wir im Laufe der Jahre gesammelt haben. Und genau hierein sollten wir mehr investieren! Das zeigt auch Professor Robert Waldinger in seinem TEDTalk über das gute Leben >> Hier entlang zu seinem Vortrag “What makes a good life? Lessons from the longest study on happiness” über das, was eben wirklich am Ende zählt.
Das sind Reisen, Begegnungen, Menschen, kleine Abenteuer des Alltags – der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt.
Wie wäre es also anstelle des nächstes Shopping-Trips mit einem außergewöhnlichen Vorhaben, das in Erinnerung bleibt?
Klar können sich ein neues Kleidungsstück oder die genialen neuen Schuhe kurzfristig glücklich machen. Die sogenannte „hedonische Tretmühle“ lässt uns dieses Glücksgefühl sehr schnell wieder vergessen, wir gewöhnen uns daran. Das gilt übrigens auch für Lotto-Gewinne: Nach spätestens zwei Jahren ist der damit einhergehende Glückskick aus und vorbei.
Wir tun uns selbst, unseren Mitmenschen und der Umwelt daher etwas Gutes, wenn wir das Geld neu und anders einsetzen, es nachhaltig in das Glück zu investieren, statt nur dem kurzem Kick nachzugeben. So können wir von guten Gefühlen und Erinnerungen ein Leben lang zehren. Und das ist definitiv Glück in langfristiger Sicht.
Bewusstsein. Reduktion. Zufriedenheit.
Nicht umsonst wurden diese drei Schlagwörter passend zur Initiative des Ministeriums für Glück und Wohlbefinden ausgesucht. Doch was bedeutet das?
- Bewusstsein bedeutet, sich immer wieder zu besinnen, sich selbst immer wieder die wichtigen Fragen des Lebens stellen, sich selbst und dem was man macht und nicht macht bewusst zu werden und darüber auch die Erkenntnis zu gewinnen, was wirklich zählt, was gut läuft, gut tut, was wichtig ist und was glücklich macht.
- Reduktion meint, sich auf das Wesentliche zu reduzieren, auf das, was man wirklich braucht. (Aus)zusortieren, sich zu befreien, den Fokus neu zu setzen und sich auf das Glück zu konzentrieren.
- Und Zufriedenheit, weil Zufriedenheit die Gefühle inkludiert dankbar zu sein, sein Glück wahrzunehmen, es wertzuschätzen, weiterzugeben und wachsen zu lassen.
Die Trends des Minimalismus oder der Sharing Economy sind im Vormarsch. Sich nicht von so viel „Zeug“ ablenken und belasten zu lassen, Luxus wie Autos in Städten zu teilen. Sich frei und unabhängig zu machen, durch die Reduktion auf das Essentielle. Gerade junge Menschen scheinen nicht mehr soviel auf Besitz zu geben, brauchen keinen fetten Firmenwagen, keine riesen Uhr am Handgelenk. Was gefragt ist und dringend gebraucht wird: Zeitwohlstand. So kommt immer öfter die Frage nach Jobsharing oder Teilzeit-Arbeit auf. Durch die Reduzierung der Arbeitszeit, kann man mehr in sich selbst, die eigenen Träume und Bedürfnisse investieren und das sogar mit weniger Geld.