Die Emotion Ärger für die mentale Gesundheit nutzen
04.04.2024 | Barbara Gerhards | Lesezeit 7 Minuten
Das Wichtigste in Kürze
Barbara Gerhards hebt in Ihrem Artikel die Bedeutung des Themas Ärger für die mentale Gesundheit und die Leistungsfähigkeit hervor, betont jedoch, dass es oft im Bereich des HR übersehen wird. Er zeigt auf, wie der kompetente Umgang mit Ärger nicht nur das persönliche Wohlbefinden fördert, sondern auch zu einer konstruktiveren Arbeitsatmosphäre beiträgt und bietet praktische Strategien zur Bewältigung von Ärger-Situationen.
Erstaunlicherweise ist der Ärger als Thema weder bei der mentalen Gesundheit, der persönlichen Weiterentwicklung noch der Führungskompetenzen zu finden. Er schafft es seit Jahrzehnten erfolgreich unter dem HR-Radar zu fliegen, obwohl er für unser Wohlbefinden, unsere persönliche Entwicklung und Leistungsfähigkeit eine zentrale Rolle spielt. Schaut man sich die Kategorien von Weiterbildungsinstituten oder von Anbietern des Betrieblichen Gesundheitsmanagements an, so findet man alles von A wie Achtsamkeit über R wie Resilienz bis hin zu Z wie Zielerreichung. Alles relevante Themen, die unser Wohlergehen beeinflussen.
Allein - mir fehlt das Ä wie Ärger!
Warum ist Ärger für die mentale Gesundheit so wichtig? Weil der kompetente Umgang mit Ärger eine notwendige, wenn auch nicht hinreichende Bedingung für unser Wohlbefinden darstellt:
- Ärger-Freiheit ist eine notwendige Bedingung, weil es kein Wohlbefinden geben kann, solange man sich ärgert oder in einem Ärger-Thema festsitzt. Hast du schon einmal versucht, dich über die eigene Gelassenheit zu freuen, während du dich über einen Kollegen geärgert hast? Entweder wir ärgern uns - viel, wenig oder nur ein Klitzekleines bisschen - oder wir sind tatsächlich ärger-frei.
- Ärger-Freiheit ist aber keine hinreichende Bedingung für mentale Gesundheit, weil selbst die Freiheit von Ärger nicht sicherstellt, dass ich die Dinge in meinem Leben habe, um zufrieden, ausgeglichen und gesund zu sein. Vielleicht fehlen mir zum Beispiel soziale Kontakte für mein mentales Wohlergehen.
Es lohnt sich also, sich mit der Emotion Ärger auseinanderzusetzen, wenn man die mentale Gesundheit zum Ziel hat. Ich empfehle, sich möglichst am Anfang eines Weiterbildungsprozesses mit ihr zu beschäftigen, weil der kompetente Umgang mit der Emotion Ärger dabei hilft, eine ganze Reihe nachgelagerter Problemfelder zu vermeiden.
Der Ärger ist als Störfaktor der mentalen Gesundheit allgegenwärtig, weil er überall und jederzeit auftreten kann:
- in jeder Branche
- in jedem Fachbereich
- in jedem Arbeitsablauf
- in jeder Abteilung
- in jeder Beziehung
und das alters-, geschlechts- und bildungsunabhängig.
Die negativen Auswirkungen des Ärgers können nicht nur überall auftreten, sie gelten auch für alle Bereiche des menschlichen Miteinanders, denn Ärger ist Sand im Getriebe des betrieblichen Geschehens. Erst, wenn wir den Sand entfernen, können alle Beteiligten wieder so miteinander agieren, wie sie es sich für das eigene Wohlbefinden, die eigene Motivation und Leistungsfähigkeit wünschen: eine wertschätzende, respektvolle Zusammenarbeit, in der unterschiedliche Positionen lösungsorientiert kommuniziert und konstruktiv diskutiert werden können. Der kompetente Umgang mit Ärger bildet somit die Basis für viele zentrale Aspekte des betrieblichen Miteinanders:
- eine konstruktive Kommunikation
- ein vertrauensvolles Miteinander
- eine offene Fehler- und Feedbackkultur
- Ko-Kreation
- Innovation
Die gute Nachricht ist: wir können die Tatsache nutzen, dass die Emotion Ärger allgegenwärtig ist, und viele Fliegen mit einer Klappe schlagen! Wenn der Ärger sich auf alle Bereiche der betrieblichen Zusammenarbeit sowie auf unser eigenes Wohlbefinden auswirkt, dann heißt das im Umkehrschuss, dass wir mit Hilfe der Ärger-Kompetenz all diese Bereiche gleichzeitig verbessern können.
Dazu habe ich aus meiner langjährigen Coaching-Praxis heraus einen 3stufigen Anti-Ärger-Prozess entwickelt, der sich in jeder Ärger-Situation und auf jedes Ärger-Thema anwenden lässt (siehe dazu auch „Das Anti-Ärger-Buch – in 3 Schritten frei von Ärger“, erschienen im Junfermann Verlag).
Greifen wir einige Bausteine der mentalen Gesundheit heraus und betrachten wir, wie der kompetente Umgang mit der Emotion Ärger hier helfen kann:
A wie Achtsamkeit
Um uns der eigenen Emotion Ärger bewusst zu werden, müssen wir achtsamer werden. Wir müssen auf unsere Ärger-Signale achten und in uns hineinhorchen, was uns an der Realität stört und wie wir uns die Welt stattdessen wünschen. Auf welche Art und Weise fühlen wir uns betroffen, welche Bedürfnisse oder Ziele verfolgen wir und wie wichtig sind uns diese?
E wie Empathie
Mit dem Wissen über den eigenen Ärger steigt auch das Verständnis für den Ärger des anderen. Wir beginnen, der anderen Person die eigenen Vorstellungen gewaltfrei mitzuteilen und laden diese ein, uns im Gegenzug über ihre Position zu informieren. Wir sehen nicht nur unser Anliegen, sondern öffnen uns für das Anliegen anderer. Als Führungskraft steigt das Bewusstsein für das Wohlbefinden der Mitarbeitenden, was ein ganz neues Miteinander auf Augenhöhe ermöglicht.
K wie Konflikte
Die zeitnahe Auseinandersetzung mit den eigenen Ärger-Triggern verhindert, dass wir uns in unseren Ärger hineinsteigern und auf unterschiedliche Ansichten emotional reagieren. In der Zusammenarbeit mit anderen Menschen wird es immer wieder konträre Positionen geben, die zu Konflikten einladen. Haben wir dagegen Klarheit bezüglich der eigenen Ziele, die sich hinter dem Ärger verbergen, so können wir gelassen und zielorientiert in die Lösungsfindung gehen.
M wie Mobbing
Wer meinem 3stufigen Anti Ärger Prozess folgt, der wird wissen, dass andere Menschen zwar mit ihrem Verhalten Ärger bei mir auslösen können, ich jedoch selbst darüber entscheide, ob ich mich ärgere oder nicht. Ich kann somit Personen, über die ich mich sonst lauthals beschwere und gegen die ich mich eventuell mit anderen zusammen verbünde, aus meinem Ärger-Gefängnis entlassen. Ich kann andere Personen so sein lassen, wie sie sind, ohne sie zu verurteilen oder im schlimmsten Fall zu mobben. Ich muss sie nicht mögen und ihr Verhalten nicht gutheißen. Ich kann meine Position gelassen ansprechen, ohne übergriffig und verletzend zu sein.
S wie Stress
Wenn wir Stress als subjektiv empfundene Überforderung definieren, so hilft mir die Ärger-Kompetenz, wieder in den eigenen Handlungsbereich und in die eigene Komfortzone zu gelangen. Indem ich mich kompetent mit meinen Ärger-Themen auseinanderzusetze und Schritte zur Erreichung meiner eigenen Ziele einleite, nehme ich mein Schicksal in die eigene Hand. Das Gefühl der Ohnmacht und Fremdbestimmung weicht einer neuen inneren Kraft.
T wie Toxisches Betriebsklima
Wenn alle Beteiligten lernen würden, wie man kompetent und gelassen mit seinen eigenen Ärger-Themen umgeht, dann hätte toxisches Verhalten keinen Nährboden. Denn alle wüssten, dass wir selbst dafür verantwortlich sind, unsere Ärgernisse unter die Lupe zu nehmen und zu klären. Jeder würde regelmäßig vor seiner eigenen Haustüre kehren, so dass sich keine Störfaktoren in der Gemeinschaft längerfristig halten können. Und wenn es mal zu einem Ärger-Trigger in der Gemeinschaft kommt, kann dieser gelassen angesprochen und geklärt werden.
Ich würde gerne das Thema Ä wie Ärger als elementaren Baustein der mentalen Gesundheit und als Fundament der persönlichen Weiterentwicklung auf dem HR-Radar sehen. Warum? Weil die Emotion Ärger eine notwendige, wenn auch nicht hinreichende Bedingung für das Wohlergehen der Mitarbeitenden und damit für den Erfolg des Unternehmens ist. Der kompetente Umgang mit den eigenen Ärger-Themen ermöglicht ein neues Miteinander und beseitigt den Sand im betrieblichen Getriebe.
Da wir alle Menschen sind und alle Menschen Emotionen haben, haben wir auch alle Zugang zu unserer Ärger-Emotion. Wir können daher alle lernen, sie besser zu verstehen und kompetent mit ihr umzugehen.